Zusammen wachsen wir. Sind füreinander da.

Kindertagesstätten

Infos zum Standort
08.04.2022

„Mit dem Herzen ist man anders dabei“

Rummelsberger Diakonie sucht Erziehungsstellen für Kinder und Jugendliche im Nürnberger Land und Umgebung

Lauf/Pegnitz – Morgens um 5 Uhr klingelt im Hause Popp der erste Wecker. Die 17-jährige Anna (alle Namen geändert) macht sich fertig für den Besuch der Kinderpflegeschule in Schwabach. Dann klingeln die Wecker von Hanna (11), Henri (14) und Maria (16). Die drei besuchen Schulen in Nürnberg und gehen eine halbe Stunde später zum Zug. Helmut Popp (53) macht sich auf den Weg nach Altdorf zu seiner Arbeit bei den Ambulanten erzieherischen Diensten der Rummelsberger Diakonie. Nur Martina Popp (45) bleibt daheim, denn hier ist ihr Arbeitsplatz. Schnell bringt sie die Küche in Ordnung und setzt sich dann an den Schreibtisch. Die Erzieherin ist Chefin der Erziehungsstelle Popp der Rummelsberger Jugendhilfe. Anna und Henri wachsen bei den Popps mit den leiblichen Kindern Hanna und Maria auf.

Dabei ist die Arbeit als Leiterin einer Erziehungsstelle nicht mit einer Pflegefamilie zu verwechseln. „Wenn wir uns irgendwo vorstellen, sagen wir zwar, dass sind unsere Pflegekinder“, erzählt Martina Popp. Aber die Erziehungsstelle ist eine Außenstelle des Wilhelm-Löhe-Hauses, einer Jugendhilfeeinrichtung der Rummelsberger Diakonie in Altdorf. Vor zehn Jahren kam der damals vierjährige Henri und drei Jahre später die damals elfjährige Anna zu den Popps. Das zuständige Jugendamt entschied, die beiden in dieser besonderen Wohnform unterzubringen.

Martina Popp ist verantwortlich für die Korrespondenz mit dem Jugendamt und auch bei den Hilfeplangesprächen dabei. Sie kümmert sich um die Termine mit den Therapeuten und regelt schulische Angelegenheiten. Das ist die Organisation im Hintergrund. Im Vordergrund steht das Leben der Kinder in einer Familie. „Bei uns bekommen Kinder und Jugendliche eine Chance, die vielleicht zu empfindsam oder zu sensibel für den stationären Wohnbereich sind“, erklärt die 45-Jährige.

Lothar Kerschbaumer vom Amt für Familie und Jugend Nürnberger Land lobt die Arbeit der Erziehungsstellen. „Ein Vorteil ist, dass die Pädagogen ganz individuell auf die Kinder eingehen können. Außerdem haben viele Erziehungsstellen selbst Kinder und können den aufgenommenen Kindern und Jugendlichen so ein Bild von Familie vermitteln“, sagt Kerschbaumer.

Aktuell gibt es im Nürnberger Land vier Erziehungsstellen und drei Familienwohngruppen von unterschiedlichen Trägern. Erziehungsstellen dürfen maximal zwei Kinder aufnehmen. Wer drei Kindern eine Chance geben möchte, nennt sich Familienwohngruppe. „Früher hatten wir im Nürnberger Land mehr Familien, die Kinder aufnehmen. Aber wenn die eigenen Kinder größer werden oder gar aus dem Haus sind, orientieren sich viele Familien neu und es kommt wie im Moment zu einem Generationenwechsel“, informiert Kerschbaumer. Er betont, dass der Landkreis mit seiner guten Infrastruktur und den guten Schulmöglichkeiten die Rahmenbedingungen dafür geschaffen habe, dass die pädagogische Arbeit gut gelingen könne.

Zuhause für die Kinder da zu sein und dafür als Fachkraft entlohnt zu werden, klingt spannend. „Wir suchen pädagogische Fachkräfte, um diese Betreuungsform mehr Kindern anzubieten“, sagt Thomas Bärthlein, Leiter der Rummelsberger Jugendhilfe im Nürnberger Land. Die Interessent*innen müssen fachliche und auch räumliche Voraussetzungen erfüllen. Die Leitung einer Erziehungsstelle braucht eine pädagogische Ausbildung wie zum Beispiel Erzieher*in oder Sozialpädagog*in und in der Wohnung oder im Haus muss für jedes Kind ein Rückzugsort vorhanden sein.

Martina Popp lebt in einem Einfamilienhaus und jedes Kind hat ein eigenes Zimmer. Die Arbeit als Erziehungsstelle ist für sie eine Berufung: „Mit dem Herzen ist man anders dabei“, sagt die Erzieherin, die früher in einer heilpädagogischen Tagesstätte gearbeitet hat. Doch es gibt auch ein „Aber“: „Wer Kinder zu Hause betreut, merkt schnell wie schwer es ist, das Fachliche und das Persönliche zu trennen.“ Sie beschreibt es als „Eiertanz“, allen Familienmitgliedern und sich selbst gerecht zu werden. „Wir achten immer darauf, dass keiner das Gefühl hat, zu kurz zu kommen.“ So stecken sie und ihr Mann Helmut immer wieder zurück. Da hilft es, dass der Sozialpädagoge selbst in der Jugendhilfe arbeitet und Verständnis hat, wenn die 17-jährige Anna plötzlich einen Weinkrampf bekommt und seine Frau auch am Abend 1,5 Stunden bei ihr sitzt und einfach da ist.

Denn beide angenommenen Kinder haben eine Geschichte. Annas Mutter hat eine schizophrene Störung. Mit den Jahren wurde die Krankheit schlimmer und das Kind hat Verantwortung für die Mutter übernehmen müssen, bis das Jugendamt entschied, für sie ein neues Zuhause zu finden. Die Krankheit der Mutter überschattet noch heute das Leben der jungen Frau. „In meiner Ausbildung zur Kinderpflegerin stoße ich immer wieder an meine Grenzen“, erzählt Anna. Manche Themen lassen vergessen geglaubte Erinnerungen aus tiefster Seele aufsteigen. Das löst Traurigkeit aus und es führt zu schlechten Noten in einigen pädagogischen und pflegerischen Fächern. Anna will zwar die Schule abschließen, dann aber im Herbst eine neue Ausbildung als zahnmedizinische Fachangestellte beginnen.

Auch der 14-jährige Henri hat sein Päckchen zu tragen. Seine Mutter war erst 17 Jahre alt, als sie ihren Sohn gebahr. Die ersten Jahre haben beide Elternteile versucht, das Baby gut zu versorgen. Es folgte die Trennung und die Mutter erkannte, dass sie das Kind nicht allein großziehen kann. Sie gab den Sohn in die Obhut des Jugendamts. Die Eltern blieben immer in Kontakt mit Henri. Inzwischen hat sich einiges geklärt in Henris Leben. Die Mutter hat Arbeit gefunden und geheiratet. Der Vater kümmert sich mit seiner neuen Familie ebenfalls um den ältesten Sohn. Beide Elternteile haben ein Zimmer für Henri eingerichtet und wollen den Sohn bald bei sich aufnehmen.

Und so gehört auch Abschied nehmen zur Arbeit in einer Erziehungsstelle. Auch Anna plant innerhalb des nächsten Jahres ausziehen und sich in Nähe ihrer Familie in Lauf eine eigene Wohnung zu mieten. „Kinder sind nur geliehen“, sagt Martina Popp, das gelte für die eigenen Kinder genauso wie für ihre „Pflegekinder“.

Wer Interesse hat, Erziehungsstelle bei der Rummelsberger Diakonie zu werden, meldet sich bitte bei Karin Ballwieser unter ballwieser.karin(at)rummelsberger.net. Der Wohnort kann auch in der Umgebung des Nürnberger Lands sein.


Von: Heike Reinhold

Die Idee von einer Familie: In einer Erziehungsstelle wachsen die aufgenommen Kinder mit den leiblichen Kindern zusammen auf. Foto: Christian Schwier – stock.adobe.com